obenplus® | Kant-Garagen Berlin - Sophia Frommel

Kant-Garagen Berlin – Sophia Frommel

Die Kant-Garagen in Berlin sind für viele Architekten und Architektinnen schon lange ein Geheimtipp. 2017 wurden die Kant-Garagen geschlossen und ein Umbau geplant. Es wäre ideal das Dach der Kant-Garagen auszubauen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Der ursprüngliche Entwurf der Kant-Garagen von  Hermann Zweigenthal und Richard Paulick sah schon damals eine begehbare Dachlandschaft mit Blick über Berlin vor.
Dieser Dachausbau der Kant-Garagen wurde jedoch aus bürokratischen Gründen nie verwirklicht.

Jetzt hat das Dach der Kant-Garagen in Berlin erneut die Chance durch einen Dachausbau zur öffentlichen Attraktion zu werden.

 

Objekt: Kant-Gargen / Berlin
Entwurfsverfasserin: Sophia Frommel
Vorhaben: Umbau/ Umnutzung und Dachausbau der Kant-Garagen
Planungszeitraum: 2017

 

Ein physisches wie visuelles Netzwerk öffentlicher Innenräume verschiedener Atmosphären, das sich als vertikale Erweiterung der Straße über die Geschosse der Kantgarage erstreckt.

Diese Arbeit ist in drei Teile gegliedert: Der erste Teil widmet sich der Recherche und Analyse der Geschichte, der Struktur und der Umgebung der KANTGARAGE und letztlich ihrem Potential hinsichtlich des öffentlichen Raums. Der zweite Teil befasst sich mit dem Thema ÖFFENTLICHER RAUM; seiner Begrifflichkeit und seinem Inhalt. Aus diesen beiden Teilen entwickelt sich die Frage- und Aufgabenstellung des Entwurfs MULTI-STORY, welchen der dritte Teil behandelt. Er dient als Auseinandersetzung der vorangegangenen Arbeit; einerseits lebt er von der Struktur und Geschichte der Kantgarage und dem Wunsch diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, andererseits versucht er eine Antwort darauf zu geben, was Stadt ausmacht und welche Rolle der öffentliche Raum in ihr spielt.

Die Kantgarage (1930) liegt in der Kantstraße, einer lebendigen und heterogenen Gegend in Berlin Charlottenburg. Das öffentliche, bzw. das urbane Leben liegt nah und könnte sich leicht bis in das Gebäu- de erstrecken. Die Kantgarage zeigt dafür großes Potential auf. Zum einen durch ihre Geschichte; sie verweist auf vergangene öffentliche Nutzungen und sogar Pläne, diese zu erweitern. Insbesondere aber durch ihre Struktur und ihre besondere Atmosphäre: eine im Gebäude liegende Tankstelle und eine Werkstatt, die Zufahrt als tiefe Flucht ins Innere, darüber ragt der Garagenbau, welcher über eine doppel- gängige Wendelrampe erschlossen wird. Die Struktur der Kantgarage spiegelt ein Potential für einen „inneren Urbanismus“ wider. Die Rampe als „vertikaler Boulevard“, der den öffentlichen Raum in das Gebäude hinaufzieht.

Meine Idee für diesen Entwurf geht von der Annahme aus, dass der öffentliche Innenraum grundsätzlich den gleichen Anforderungen genügen muss wie der öffentliche Außenraum. Ich stelle mir diesen öffentlichen Innenraum als einen Ort vor, an dem die Nutzerinnen* alltägliche Dinge verrichten und sich gerne aufhalten, an dem sie sich zeigen, beobachten, Neues entdecken und miteinander in Austausch treten; ein Ort, an dem sich eine kulturelle Vielfalt der Stadt zeigen und entwickeln kann; der für alle offen ist und an dem sich die Gesellschaft begegnen und kennen- lernen kann. Aus diesem Grund orientiert sich dieser Entwurf nicht an anderen öffentlichen oder halb-öffentlichen Innenräumen – zuallerletzt an der Shopping Mall, sondern an dem Netzwerk von öffentlichen Straßen und Plätzen im Sinne von Jane Jacobs und Jan Gehl. Der öffentliche Innenraum wird zuerst als zwingende gemeinsame Infrastruktur ver- schiedener Funktionen verstanden. So kann ein Netzwerk aus den unterschiedlichen Funktionen und Orten entstehen, welches letztlich auch die Nutzerinnen* verbindet. Diese Funktionen und deren Mannigfaltigkeit sollen sichtbar gemacht werden, sodass sie sich im Sinne der „hybriden Zone“ der Öffentlichkeit aussetzen und in eine anregende Wechselbeziehung treten können.

Die ENFILADE dient als räumliches Konzept des Entwurfs, um die Idee der Straße auf einen kleineren Maßstab zu übertragen: individuelle Räume, die sowohl eigenständig funktionieren, als auch als Teile von einer Reihe verbundener Räume. Entgegen der klassischen Enfilade liegen die Räume aber nicht in linearen Achsen orthogonal hintereinander; sie verschieben sich gegeneinander und überlagern sich. Aus diesen „Überlagerungen ergeben sich komplexe, offene Grenzen“01, die Raum für „Mehrdeutigkeit und die Möglichkeit von Überraschungen“02 schaffen. Die miteinander verbundenen Räume unterschiedlicher Proportionen, Orientierung, Umgebung und Atmosphären sind sowohl physisch als auch visuell miteinander verbunden. Sie geben, entsprechend der klassischen Enfilade, den Gang und den Blick durch den einen Raum in den nächsten frei. Die Nutzerinnen* können sich so zuerst visuell eine Übersicht verschaffen und orientieren, um dann die weiteren Räume physisch zu erkunden. Die Möglichkeit die Räume mit dem Auge zu erkunden, bringt nicht nur Übersicht und damit eine gewisse Sicherheit mit sich, sondern schafft auch eine Aufforderung, die Räume und das, was in ihnen geschieht, zu beobachten und sich davon inspirieren zu lassen.

Die Sichtbezüge und das Überlagern verschiedener Räume schaffen FLIESSENDE ÜBERGÄNGE, welche Schwellen minimieren. Diese offene Grenze, an der sich Verschiedenes überlagert, findet sich schon im Erdgeschoss der Kantgarage, wo das Gebäude auf die Stadt trifft und diese in sich hineinzieht. Um eine horizontale und vor allem vertikale Zirkulation im Gebäude zu gewährleisten, wird die Kantgarage um eine zweite Erschließung in Form einer offenen Treppenanlage ergänzt; so wird ein Durchwandern auf verschiedenen Wegen ermöglicht und eine weitere offene Grenze zwischen Innen und Außen geschaffen. Innerhalb der Kantgarage sind die Übergänge mit Hilfe von Blickachsen und Sichtbezügen zwischen dem öffentlichen Raum und den angrenzenden privaten und halbprivaten Räumen fließend. Durch den Umgang mit der tragenden Struktur des Bestandes werden weitere Verbindungen hergestellt: die Stützen und Unterzüge befinden sich teils im öffentlichen, teils innerhalb der halbprivaten Räume. So wird nicht nur die Linearität der Stützenreihen aufgelockert, sondern auch die Grenze zwischen dem öffentlichen und halböffentlichen Raum. Gleiches gilt für den Umgang der Stützen und Unterzüge des Anbaus: dort, wo der öffentliche Raum auf die Struktur des Anbaus trifft, wird die sonst im privaten Raum liegende Tragstruktur sichtbar.

Die wesentliche STRUKTUR des Bestands wird weder verändert noch entfernt, die tragenden Elemente dienen weiterhin als Gerüst für den Entwurf. Dadurch haben die eingestellten Strukturen – als nicht-tragende Wände – die Freiheit unabhängig voneinander errichtet, verändert und erweitert zu werden. Aus diesem Grund wird auch der Anbau als Skelettbau geplant. So können sich die Räume mit der Zeit an die Bedürfnisse der Nutzerinnen* anpassen und die Tragstruktur kann noch lange als bauliche Ressource genutzt werden. Durch das Entfernen und Verändern der nichttragenden Elemente ergibt sich die Möglichkeit, die Treppenanlage und den Anbau mit den Geschossen des Bestands zu verbinden und für eine zusätzliche Belichtung der Kantgarage zu sorgen. Einen weiteren Eingriff stellen vereinzelte Deckendurchbrüche dar, welche größere Raumhöhen und vertikale Sichtverbindungen schaffen. Diese Eingriffe in die Bestandsstruktur werden sichtbar gemacht: der Durchbruch von der Kantgarage zum Anbau zeigt sich durch die verschiedenen Arten des Estrichbelags eher subtil, dafür stärker in dem Aufeinandertreffen der alten und neuen Tragstruktur. Die Eingriffe in die Deckenplatte werden durch grobe Durchbrüche klar gekennzeichnet.

Das urbane Leben als eine Haltung und einen Prozess betrachtend, sollte auch der Entwurf „sich-einlassen auf Unterschiede, eine Bereitschaft [haben] das Unfertige, das nicht Dauerhafte, den Zufall zu akzeptieren“03. Der öffentliche Raum ist sowohl Bühne als auch Ausdruck des urbanen Lebens. Daher sollte er einerseits die verschiedenen Formen des urbanen Lebens inszenieren, ihnen Raum bieten, andererseits sollte er ein Entdecken und Erfinden neuer, zusätzlicher Formen zulassen, gar anregen. Der öffentliche Innenraum des Entwurfs soll „Schauplatz des Lebens“ sein, in welchem der Mensch keine „Angst davor [hat], sich >preiszugeben<“04, sondern Inspiration erfährt.

01 Sennett (2009) // S. 286
02 ebd. // S. 276
03 ebd. // S. 286
04 ebd. // S. 14